Argentinien 1979: Nach Jahren des Exils kehrt eine Familie nach Argentinien zurück. Die Eltern (Natalia Oreiro und César Troncoso) sind Mitglieder der Guerillagruppe „Monteneros“ und kämpfen gegen die Militärjunta. Die Lage ist gefährlich. Eine falsche Identität soll sie vor dem Aufgreifen durch die Polizei schützen. Juan (Teo Gutiérrez Romero), der Sohn der Familie, ist zwölf Jahre alt und heisst von nun an Ernesto.
Das Versteck
Ende der 70er-Jahre herrscht in Argentinien eine Militärdiktatur. Ernestos Eltern gehören zu den Widerstandskämpfern, die sich aktiv gegen die Junta auflehnen. Gewalt gehört dabei auf beiden Seiten zum Alltag. Ernesto weiss, dass seine Eltern politisch verfolgt werden. Er weiss auch, wo er sich verstecken muss, sollte die Lage gefährlich werden. In der Garage, die als Materiallager getarnt ist, verbirgt sich hinter einem Stapel von Kartonschachteln eine geheime Tür. Durch sie gelangt Ernesto in einen Raum, der ihm Schutz bieten soll.
Augen, die zu viel sehen
Im Gegensatz zu der angespannten Situation in Ernestos Familie steht die szenische Umsetzung des Films. So dominieren warme Farben und sanfte Klaviertöne. àvila lässt auch Stille zu, manchmal ist nur Ernestos Atem zu hören. Der Film zeigt seine Sicht der Geschehnisse und porträtiert gleichzeitig den verträumten und nachdenklichen Jungen. Nahaufnahmen lassen Ernesto durch die Zuschauerinnen und Zuschauer sehr genau wahrnehmen. Seine Augen, die viel beobachten und zu viel sehen. Sein Mund, der schüchtern lächelt. Seine weichen, kindlichen Hände.
Ernesto verliebt sich. In Maria, die mit ihm zur Schule geht. Sein Onkel Beto (Ernesto Alterio) gibt ihm gute Ratschläge. Und tatsächlich hat er damit Erfolg bei Maria. Nur eines darf Ernesto nicht: Seinen wahren Namen verraten. Mit Maria verbringt er trotzdem eine schöne Zeit. Sie streifen zusammen durch den Wald, träumen von einer Reise nach Brasilien. Als sich aber die Lage zuspitzt und seine Familie zunehmend bedroht ist, verbieten seine Eltern Ernesto zur Schule zu gehen. Jetzt zeigt sich, dass die zwei Parallelwelten nicht vereinbar sind. Seine Träume und die Pläne, die er zusammen mit Maria geschmiedet hat, muss er aufgeben.
„Ich brauche ihn lebend“
„Infancia Clandestina“ heisst so viel wie heimliche, versteckte oder auch illegale Kindheit. Seine eigenen Erfahrungen inspirierten Regisseur Benjamin àvila zu diesem Drama – es beruht zum grossen Teil auf wahren Gegebenheiten. Er zeigt mit seinem Film, dass für Kinder auch dort noch Schönes Platz hat, wo Eltern nur die Schattenseiten sehen.
Als Ernestos Onkel Beto sich selbst in die Luft sprengt, damit die Polizei ihn nicht erwischen kann, sind Familie und Freunde untröstlich. Ernesto jedoch ist der Einzige, der Wut fühlt und ihr Luft macht. „Ich habe ihn lebend gebraucht!“, sind seine Worte, die sowohl der Tischrunde im Film als auch dem Publikum im Kinosaal unter die Haut gehen. Für Ernesto scheint klar zu sein, dass ein einzelnes Menschenleben wichtiger ist als der Kampf gegen die Regierung.
Die Kindlichkeit bewahren
Eine der Kategorien des diesjährigen internationalen Filmfestival in Fribourg ist „Kindheit“. Mit „Infancia Clandestina“ wurde für die Vorpremiere ein Film ausgewählt, der ein ernsthaftes Thema behandelt und doch seine Leichtigkeit gerade durch die Protagonisten nicht verliert. Die Nominierung zum besten fremdsprachigen Oscar 2013 erhielt Benjamin àvilas Erstling nicht unverdient. àvila bleibt der kindlichen Sicht der Dinge treu und überzeugt mit einem tiefsinnigen Film, der zum Weiterdenken anregt.